Frühkapitalismus und europäische Expansion: Geld regiert die Welt

Frühkapitalismus und europäische Expansion: Geld regiert die Welt
Frühkapitalismus und europäische Expansion: Geld regiert die Welt
 
Die Jagd nach Gold und Silber
 
Der direkte Zugang zu den Luxusgütern und zum »Goldreichtum« Asiens war das primäre Motiv des europäischen Expansionismus. Bevor jedoch die Portugiesen den Seeweg nach Indien entdeckten, schienen die Spanier auf den »neu gefundenen Inseln« erfolgreicher zu sein. So berichtete Kolumbus bereits während seiner ersten Reise (1492/93) von einem Fluss auf Hispaniola, »ganz durchsetzt mit Gold«, einige Körner seien »so groß wie Linsen«. Das auf den Großen Antillen geschürfte Gold erwies sich jedoch fast ausnahmslos als Waschgold, das zudem bald erschöpft war.
 
Tauschhandel, mehr noch Raub und Plünderung von Gebrauchs-, Kunst- und Kultgegenständen befriedigten daraufhin die Gier der Spanier nach Gold. 1520 präsentierte Karl V. bei einem Aufenthalt in Brüssel einem faszinierten Publikum die ihm von Cortés übersandten Schätze des Aztekenherrschers Moctezuma, die er anschließend bis auf den »wertlosen« Federschmuck einschmelzen ließ. Den Höhepunkt des »Goldrausches« stellte die Ermordung des Inka Atahualpa dar, der vergeblich versucht hatte, sich durch etwa 5 Tonnen Gold und 12 Tonnen Silber Lösegeld freizukaufen. Da selbst noch auf einen einfachen Fußsoldaten der 168 Mann starken Truppe Pizarros ein Anteil von 2673 Goldpesos entfiel, löste diese Beute einen erneuten Wettlauf bei der Suche nach Eldorado aus. In den Vierzigerjahren versiegten jedoch die Quellen des Indianergoldes. Die »Goldwirtschaft« beruhte fortan auf dem teuren Bergbau, dessen Förderung eine gewisse Bedeutung behielt und der inzwischen auch das afrikanische Gold mengenmäßig übertraf. Zwischen 1503 und 1660 trafen 181 Tonnen Gold in Sevilla ein.
 
Überflügelt wurde das amerikanische Gold nach der Mitte des 16. Jahrhunderts vom Silber, das zwar in jener Zeit in einem Wert von 1:10 bis 1:15 zum Gold stand, das aber aufgrund der ungeheuren Menge den bei weitem größten Teil des Weltsilbervorrats ausmachte. Zwischen 1503 und 1660 trafen 16887 Tonnen Silber aus Spanischamerika in Sevilla ein. Damit war Silber eindeutig das Hauptexportprodukt Spanischamerikas; im 16. Jahrhundert betrug sein Anteil am Export über 80 Prozent, im 17. Jahrhundert um 75 Prozent.
 
Der Silberboom hatte eingesetzt, als 1545 durch Zufall die Silbervorkommen des Cerro Rico (Reicher Berg) im heutigen Bolivien entdeckt wurden. Das Wappen der im gleichen Jahr gegründeten Stadt Potosí pries den Berg als »Schatzkammer der Erde, König aller Berge, Traum aller Könige«. Wenn auch später andere Silberbergbaugebiete wie zum Beispiel Zacatecas in Nordmexiko hinzukamen, bildete Potosí doch das ökonomische Zentrum Spanischamerikas. Der Reichtum und Luxus dieser in 4100 m Höhe gelegenen Stadt, die bis 1650 auf 160000 Einwohner anwuchs, besaß indessen eine Kehrseite. Denn der wirtschaftliche Erfolg wurde zu einem großen Teil mit indianischer Zwangsarbeit (mita) erkauft.
 
Für die Krone ging es bei der Duldung dieser und anderer Formen von Indianertributen in erster Linie um die möglichst kurzfristige Realisierung von Einnahmen für die stets leeren Staatskassen. Das Geld aus Spanischamerika blieb denn auch nur zum geringeren Teil im Mutterland. Da waren zunächst die Ausgaben für die kostspieligen Kriege Spaniens mit Frankreich, England und vor allem in den Niederlanden. Aber auch die Verwaltungs- und Verteidigungskosten in der Neuen Welt verschlangen immer größere Summen. Hinzu kamen die teure Hofhaltung und die Errichtung repräsentativer Bauwerke sowie, was das »Privatsilber« anbetraf, der Luxus der feuda- len Oberschichten. Außerdem flossen große Teile des amerikanischen Silbers durch den Handelsverkehr nach Ostasien ab, weil vom europäischen Warenangebot her Gold und Silber die nahezu einzigen attraktiven Tauschmittel für die asiatischen Handelspartner darstellten. Schließlich gelangte ein Teil des amerikanischen Silbers mit der »Manila-Galeone« direkt nach Asien, ein anderer — mindestens zehn Prozent — erreichte als Schmuggelgut erst gar nicht Sevilla.
 
Das in Europa verbleibende Geld reichte indessen aus, um zu einem Anstieg der Warenpreise, der Kreditnachfrage, der Erhöhung der Geldmenge und der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes zu führen. Die Folge war die Preisrevolution des 16. Jahrhunderts mit einer Inflationsrate von 400 Prozent. In Spanien bewirkte die einseitige Orientierung der Finanzpolitik überdies eine Vernachlässigung der Entwicklung einer ökonomisch-sozialen Binnenstruktur, in der Neuen Welt bewirkte sie mit der gesellschaftlichen Tabuisierung der Arbeit zukünftige Strukturprobleme Lateinamerikas.
 
 
Mit den europäischen Eroberern kamen nicht nur ihre Goldgier und ihre Bazillen in die Neue Welt, sondern auch ihre Tiere und Pflanzen. Schon in den Dreißigerjahren des 16. Jahrhunderts durchstreiften verwilderte Pferde- und Rinderherden die Gebiete Neuspaniens und breiteten sich schließlich bis in die Pampas Argentiniens und die Prärien Nordamerikas aus. Aus der Alten Welt kamen ebenfalls Schweine, Schafe, Ziegen, Hühner, Tauben, Hunde und Katzen. Die Folge für Amerika war die Umorientierung von pflanzlicher Kost zu Fleisch als Volksnahrung, während in Europa amerikanische Kolonialwaren wichtige Veränderungen im Speiseplan in umgekehrter Richtung bewirkten. So gelangten von Amerika nach Europa u. a. Kartoffeln, Paprika, Tomaten, Tabak, Kakaobohnen und Mais.
 
Andere exotische Früchte und Anbauprodukte hatten bereits einen langen Weg hinter sich, als sie in Amerika heimisch wurden und dann wiederum als Kolonialwaren nach Europa kamen. Das gilt etwa für die südostasiatische Banane, die sich zum einen ostwärts auf der pazifischen Inselwelt ausbreitete, zum anderen westwärts über Indien nach Afrika gelangte, wo sie portugiesische Seefahrer in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts kennen lernten und auf ihren atlantischen Inseln anpflanzten. Von den Kanaren 1516 nach Hispaniola verbracht, gelangte sie innerhalb weniger Jahre von hier auf das Festland, wo sie Bestandteil der indianischen Ernährung wurde.
 
Die Bedeutung, die die Banane für Mittelamerika gewinnen sollte (Bananenrepubliken), besaß das Zuckerrohr für Brasilien und die Karibik. Um 1000 n. Chr. von Arabien in die Levante gebracht, fand es über die Mittelmeerländer und die portugiesischen Kolonien im Atlantik 1532 den Weg nach Brasilien und von dort in die Karibik. 1570 arbeiteten in Brasilien 60 Zuckermühlen, die pro Jahr über 2600 t produzierten. Während sich die Verdienstspannen der unmittelbaren Produzenten in Grenzen hielten (zwischen 3 und 10 Prozent), saßen die eigentlichen Gewinner in Europa. Antwerpen und nach 1590 Amsterdam wurden wichtigste Zentren der Zuckerraffinerien und Finanzmetropolen des Zuckerhandels.
 
Neben den ausgesprochenen Kolonialwaren nahmen vom Wert her noch Farbstoffe einen hohen Rang ein. Die Palette der amerikanischen Exportartikel wurde ergänzt durch Naturprodukte wie Häute und Felle, Produktionsgüter wie Kupfer, Blei und Zinn, ferner Kräuter, Gewürze und Arzneien sowie schließlich exotische Tiere wie Affen und Papageien, wohingegen Spanien in erster Linie Manufaktur- und Luxusprodukte lieferte.
 
Während Zucker aus dem Vorderen Orient, Kaffee aus Äthiopien und Arabien sowie Tee aus China in die Neue Welt kamen, stellten die Portugiesen den direkten Kontakt zu den ursprünglichen Produzenten her. Schon Afrika hatte ihnen nicht nur Getreide, Gold und Elfenbein geliefert, sondern in Form des westafrikanischen Malaguettepfeffers auch eine Sorte der in Europa heiß begehrten Gewürze. Gewürze dienten als Konservierungsmittel für Fleisch und Fisch, aber auch zur Verfeinerung der europäischen Küche. In einigen Gebieten Europas war der Pfeffer sogar als Währung gebräuchlich. Mit dem Aufbau ihres asiatischen Imperiums übernahmen die Portugiesen den lukrativen Transport dieser Kolonialwaren über die maritime »Seidenstraße«: Pfeffer von der Malabarküste, Zimt aus Ceylon, Muskatnüsse und -blüten sowie Nelken von den Molukken.
 
 Die »Seidenstraße der Meere«
 
Während der Goldhandel Europa zunächst mit Afrika, dann mit Amerika in Verbindung brachte, stellte der Gewürzhandel die Beziehung zu Asien her. Die asiatischen Waren, die bis um 1500 allenfalls streckenweise auf dem Seeweg nach Europa gelangt waren, wurden nach der Entdeckung der Seeroute nach Indien größtenteils auf die neue Welthandelsstraße um das Kap der Guten Hoffnung umgeleitet. Es waren jetzt allein die europäischen Transporteure, die den Handel mit Asien beherrschten. Lissabon avancierte zu dem europäischen Hafen, von wo aus die Güter des Orients dann weiter, zunächst nach Antwerpen und von dort über die internationalen Messen, in das nordeuropäische Handelsnetz gingen. Zwischen 1500 und 1595 sind 705 Asienreisen von Lissabon nach Goa nachgewiesen.
 
Während die Portugiesen in erster Linie Geld in Form von Gold und Silber nach Asien brachten, bestand die Rückfracht überwiegend aus Gewürzen. Von der Produktion dieses wichtigsten asiatischen Handelsgutes gelangten allerdings nur etwa 14 Prozent in den europäisch-asiatischen Fernhandel, das heißt über drei Viertel wurden im innerasiatischen Handel umgeschlagen. Da sich die Portugiesen erfolgreich in diesen innerasiatischen Handel integriert hatten — die Handelssprache in Asien blieb bis ins 18. Jahrhundert Portugiesisch —, waren sie es, die mit ihrem Zwischenhandel die Gebiete zwischen Ostafrika und Japan in einen regen Austausch brachten.
 
Während Portugal schon ab 1500 die carreira da India, das Konvoisystem mit Geleitschutz zwischen Lissabon und Goa, einrichtete, schuf Spanien die Organisation von Schiffsverbänden, die von Kriegsschiffen begleitet wurden, erst nach einigen unliebsamen Erfahrungen mit Freibeutern. Seit 1564 bestand die spanische carrera de Indias in der Idealform aus jährlich zwei Flottenverbänden, die Sevilla verließen: im April die flota, die nach dem neuspanischen Veracruz aufbrach, und die galeones, die in erster Linie für den indirekten Handel mit dem Vizekönigreich Peru bestimmt waren und die im August nach Nombre de Dios bzw. Portobelo an der Landenge von Panamá segelten. Im folgenden Sommer traten beide Verbände die gemeinsame Heimfahrt von Havanna aus an. Zwischen 1504 und 1650 sind auf der Westindienroute 10635 Schiffe — im Rekordjahr 1608 über 200 — in Sevilla registriert worden.
 
Auch mengenmäßig übertraf der transatlantische Handel die Indienroute der Portugiesen um ein Vielfaches. Ursache für dieses Übergewicht war der Edelmetallreichtum der Neuen Welt, aber natürlich auch die spanische Kolonialpräsenz und das Handelsverbot für Ausländer, während die Portugiesen nur Teilnehmer am asiatischen Handel waren. Trotz einiger spektakulärer Aktionen von Freibeutern waren die Fahrten relativ sicher. Den zunehmenden Schleich- und Schmuggelhandel konnte Spanien allerdings nicht unterbinden. Dagegen vermochten die Spanier auf dem von Magalhães entdeckten westlichen Seeweg nach Asien der Ostroute der Portugiesen nie Konkurrenz zu machen.
 
Teil des europäisch-amerikanischen Seeverkehrs war schließlich der transatlantische Dreieckshandel, der auf dem von der spani- schen Krone konzessionierten Sklavenhandel der Portugiesen, Franzosen, Holländer, Engländer und anderer Nationen beruhte. Während von Europa Textilien, Waffen, Branntwein, Metalle, Schmuck und Tand im Austausch gegen Sklaven nach Afrika gingen, nahmen die Sklavenschiffe Zucker, Tabak, Kaffee und Edelmetalle aus der Neuen Welt mit zurück nach Europa. Unter volkswirtschaftlichen Aspekten war nach heutiger Erkenntnis die Bedeutung des Skla- venhandels eher marginal. Den nicht in besonderem Maße über andere zeitgenössische Gewinnmargen herausragenden Gewinnen zwischen 5 und 10 Prozent, die die europäischen Geldgeber realisierten, stand allerdings »das größte Verbrechen der Geschichte« gegenüber.
 
Die Folge dieses zunehmend weltumspannenden Personen- und Warenverkehrs war die Herausbildung eines Weltverkehrssystems, das die entlegensten Zonen der Erde miteinander in Kontakt brachte. Die Umschlagszentralen der Güterströme lagen in Europa in den Handelsmetropolen des Nordwestens und der westlichen Mittelmeerländer. Zugleich trugen die hohen Gewinnspannen im Überseehandel, aber auch die Preisrevolution des 16. Jahrhunderts, die Kaufleute und Bankiers gegenüber Beziehern fester Einkünfte und Renten begünstigte, zur Förderung des europäischen Handelskapitalismus bei.
 
Das Ausgreifen europäischer Handelsinteressen auf die übrige Welt und das Entstehen eines Weltverkehrssystems bedeuteten vorerst jedoch nur bedingt die Etablierung eines europazentrischen »kapitalistischen Weltmarktes«. Denn der Kontakt mit den Europäern löste regional und lokal sehr differenzierte Prozesse aus, wobei die Erweiterung des afrikanischen Sklavenmarktes aufgrund der europäischen Nachfrage sicherlich das fragwürdigste Ergebnis war. Ansonsten blieb Afrika jedoch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend von den Europäern unberührt. In Asien trugen die Portugiesen zwar zur Erweiterung des innerasiatischen Handelsnetzes bei, tangierten das bestehende Wirtschaftssystem aber kaum. In Iberoamerika bewirkte die europäische Nachfrage nach Gold und Silber zweifelsohne schwerwiegende Veränderungen im ökonomischen und sozialen Gefüge Altamerikas. Eine Integration in das »Weltwirtschaftssystem« fand allerdings nur für einige Produkte statt, während sich seit dem 17. Jahrhundert eigenständige wirtschaftliche Binnenstrukturen entwickelten. Die ökonomische Stoßkraft des europäischen Aufbruchs richtete sich ohnedies nicht in erster Linie auf die Suche nach Märkten für eigene Waren, vielmehr ging es darum, außerhalb Europas liegende Ressourcen in das europäische Handelssystem zu integrieren. Der aufkommende Kapitalismus hat diesen Prozess begleitet und ist von ihm gefördert worden, er war aber noch keineswegs weltbeherrschend.
 
Prof. Dr. Horst Gründer, Münster
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Handelsgesellschaften erobern die Welt: Kampf um die Märkte
 
 
Wallerstein, Immanuel: Das moderne Weltsystem. Kapitalistische Landwirtschaft und die Entstehung der europäischen Weltwirtschaft im 16. Jahrhundert. Aus dem Englischen. Frankfurt am Main 1986.

Universal-Lexikon. 2012.

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